Herzlich willkommen auf meinem Mangablog. Hier findet ihr Rezensionen zu deutschen und englischen Manga sowie Beiträge über Themen und Aspekte, die mich an dem Medium interessieren. Ab und an schaue ich auch über den Tellerrand hinaus und schnuppere in Comic-Kunst abseits Japans hinein.

Ikarus - Manga Review

Ikarus

[Anzeige: Ich habe den Band vergünstigt vom Verlag erhalten. Meine Meinung ist davon natürlich nicht beeinflusst.]

“Ikarus” vereint zwei große Comic-Künstler ihrer Zeit in einem Werk. Der Einzelband entstand aus einer Kooperation zwischen Moebius und Jiro Taniguchi. Der Manga begann seine Veröffentlichung in Japan 1997 in Kodanshas Magazin Morning, wurde dort aber schließlich nach nachlassender Interesse der Leserschaft frühzeitig beendet.

Die Serie wurde von Bijutsu Shuppansha im November 2000 in einem Sammelband herausgebracht. Auf Deutsch erschien der Manga schließlich 2016 bei Schreiber & Leser in einem Band.

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Szenario: Moebius | Zeichnungen: Jiro Taniguchi | Originaltitel: Icaro | Übersetzung: Übersetzung: Tsuwame und Resel Rebiersch | Genre: Drama, Science-Fiction | Demografische Zielgruppe: Seinen | Verlag: Schreiber & Leser | Preis: 24,95€ |In einem Band abgeschlossen | mehr Informationen auf der Verlagsseite

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Wie war’s?

Die Prämisse von “Ikarus” ist einfach: In der nahen Zukunft wird ein Kind geboren, das schweben und durch die Luft fliegen kann. Die japanische Regierung entreißt den Jungen seiner Mutter und sperrt ihn in eine abgelegene Forschungseinrichtung, um ihn zu studieren und schließlich zu bewaffnen. Zwanzig Jahre lang ist Icaro von der Welt abgeschnitten und kann seinen Käfig nicht verlassen. Doch der Junge entwickelt sich, entdeckt einen immer stärker werdenden Freiheitsdrang und seine Gefühle. Icaro lehnt sich auf und bricht aus seiner Gefangenschaft aus.

Bevor wir mit der Analyse des Werkes beginnen, finde ich es sehr interessant, den Entstehungskontext zu erwähnen, der am Ende des Bandes mit einem Interview mit Moebius, dem Initiator des Projekts, dargestellt wird. Alles begann gut mit einer Idee für eine ehrgeizige Geschichte, die Moebius gemeinsam mit Jean Annestay entwarf und die über 10.000 Seiten umfassen sollte und die schließlich einem japanischen Verlag vorgestellt wurde, weil sie wollten, dass sie dort gezeichnet und veröffentlicht wird, da Japan bekannt für lange Comic-Reihen war.

Doch wenn man zwischen den Zeilen liest, scheint es, als hätten die Autoren das Wesen des Mangas und die japanische Veröffentlichungskultur nicht im Detail verstanden. Kodansha zeigte zwar Interesse, bat aber den ausgewählten Zeichner Jiro Taniguchi, das Skript zu überarbeiten und zu kürzen. Eine Serie, die im harten Geschäft der Magazinveröffentlichungen hätte bestehen können, kam dennoch nicht zustande.

“Ikarus” wurde 1997 in Japan erstmals in einem Magazin veröffentlicht, fand aber nicht die Resonanz bei den Lesern, die man aufgrund des bekannten Kreativduos hätte erwarten können. Die Serie rutschte im Magazin immer weiter nach unten, bevor Kodansha das Werk vorzeitig einstellte.

“Ikarus” ist also ein unvollendetes Werk. Das merkt man der Handlung in einigen Punkten an. “Ikarus” hätte ein faszinierender Science-Fiction-Mystery-Thriller werden können, auch wegen des psychologischen Aspekts eines Kindes, das in Isolation aufwächst. Icaro wächst in einem riesigen künstlichen Käfig auf, einer Art riesigem Gewächshaus, in dem er sich bewegt und täglich getestet wird. Er kennt die Außenwelt nicht, entwickelt aber Gefühle, als er mit einer der Forscherinnen in näheren Kontakt kommt. Icaro beginnt zu rebellieren und will aus seiner vertrauten, eingefahrenen Welt ausbrechen.

Allerdings stolpert die Geschichte über unnötige Nebenhandlungen, die vor allem in den vorzeitig beendeten Werken wenig Sinn ergeben. So gibt es eine Rebellion von Klonen mit übernatürlichen Kräften, von denen wir nie erfahren, woher sie kommen und was ihr eigentliches Ziel ist. Auch die Handlung wirkt durch den frühen Abbruch unausgegoren. Ich hatte das Gefühl, ein Sammelsurium von Science-Fiction-Ideen zu lesen, das ungeschickt zusammengefügt wurde. Die Einflüsse von Katsuhiro Ôtomos Akira sind sicherlich ebenfalls nicht von der Hand zu weisen. So hätte “Ikarus” in diesem Band durchaus funktionieren können, wenn man sich auf das Wesentliche konzentriert hätte.

Taniguchi scheint Schwierigkeiten zu haben, sich in der Science-Fiction-Welt von Moebius zurechtzufinden. Manchmal fällt es schwer, die bekannte Handschrift des Zeichners wiederzuerkennen. Ähnlich verhält es sich mit den Zeichnungen. Diese sind zwar mehr als beeindruckend und Taniguchi liefert detaillierte und ausgefeilte Panels ab, gleichzeitig fehlt aber an einigen Stellen die tiefe Emotionalität und Sensibilität in den Zeichnungen, die man von Taniguchis bekanntesten Werken gewohnt ist.

Trotz all dieser Kritikpunkte kann ich nicht leugnen, dass es sich um ein Werk handelt, das einen guten Lesefluss hat und trotz der knapp 300 Seiten ein schnelles Leseerlebnis verspricht, nicht nur, weil Taniguchi vor allem auf die Bildsprache setzt und das gesprochene Wort sparsam einsetzt.

Schreiber & Leser bringt das Werk in einem übergroßen Hardcover-Format heraus, was den Preis von 24,95€ durchaus rechtfertigt. Das Papier ist in gewohnt hoher Qualität.

Fazit

Was bleibt also nach “Ikarus” und kann man den Titel Taniguchi-Fans empfehlen? Ich würde das Werk keinesfalls als Zeitverschwendung ansehen, muss aber auch gestehen, dass man dem Band anmerkt, dass es Opfer seiner Entstehungsgeschichte ist. Sei es, weil Moebius Japan als Comicmarkt falsch eingeschätzt hat oder weil Kodansha den Manga bereits nach wenigen Kapitel eingestellt hat. Das alles führt dazu, dass “Ikarus” sich nicht komplett entfalten kann.

Wer Taniguchi liebt und darüber hinaus ein Akira-Fan ist, dürfte aber dennoch auf ein kurzweiliges Lesevergnügen treffen, wenn man auch hinnehmen muss, dass viele Nebenhandlungen keine Auflösungen erfahren.

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