[Anzeige, da Rezensionsexemplar]
Shiro Kuroi begann seine Reise mit Leviathan als einen Doujinshi-Oneshot – ein Einzelkapitel, das er ursprünglich in Eigenregie veröffentlichte. Die Geschichte erregte die Aufmerksamkeit von ki-oon, einem renommierten französischen Verlag, der das Potenzial erkannte und daraus eine vollständige Serie machte. Inzwischen wurde die Reihe auch in Japan, dem Heimatland des Mangakas, veröffentlicht.
Auf dem deutschsprachigen Markt erwarb der Hamburger Verlag Carlsen die Lizenz, die den Titel seit August 2024 veröffentlichen. In der Summe wird die Reihe drei Bände umfassen.
Text & Zeichnungen: Shiro Kuroi | Originaltitel: Leviathan | Übersetzung: Gandalf Bartholomäus | Genre: Science-Fiction, Horror| Verlag: Carlsen Manga | Preis: 12,00€ | in drei Bänden abgeschlossen | mehr Informationen auf der Verlagsseite
Wie war’s?
“Leviathan” von Mangaka Shiro Kuroi weiß durch eine dichte Atmosphäre, aber klassische, Erzählweise, zu fesseln, die den Leser von der ersten Seite an in ihren Bann zieht. Die Geschichte beginnt mit einem Team von Wrackräubern, die ein verlassenes Raumschiff namens Leviathan durchkämmen. Während ihrer Erkundung stoßen sie auf das Tagebuch eines Schülers namens Kazuma, das die dramatischen Ereignisse an Bord dokumentiert. Was ursprünglich als harmloser Schulausflug begann, verwandelte sich rasch in einen erbitterten Überlebenskampf: Eine gewaltige Explosion beschädigte das Schiff schwer und reduzierte den Sauerstoffvorrat auf ein gefährlich niedriges Niveau. Inmitten dieser Verzweiflung entdeckt die Gruppe eine letzte funktionierende Kryokammer, was einen erbitterten Kampf ums Überleben entfacht und die dunkelsten Facetten der menschlichen Natur ans Licht bringt. Durch Kazumas Aufzeichnungen wird der Leser in eine Vergangenheit zurückversetzt, die von Klaustrophobie, Paranoia und dem unaufhaltsamen Zerfall sozialer Strukturen geprägt ist.
Die Charaktere in “Leviathan” mögen auf den ersten Blick bekannten Archetypen entsprechen: egoistische Lehrer, manipulative Jugendliche, Mobbingopfer, die Rache suchen, und Freundschaften, die im Angesicht des Terrors zerbrechen. Doch Shiro Kuroi gelingt es, diese scheinbar vertrauten Rollen durch die extremen Umstände auf dem Schiff in eine tief verstörende Richtung zu lenken. Die wahre Bedrohung in diesem Horror-Manga geht nicht von übernatürlichen Wesen oder Monstern aus, sondern von den Menschen selbst. Getrieben von Angst und Verzweiflung, offenbaren sie in der Ausnahmesituation ihre dunkelsten Abgründe.
Die Kinder auf der Leviathan, die sich ohne die Aufsicht von Erwachsenen in einer existenziellen Krise wiederfinden, stehen nicht nur vor der physischen Bedrohung durch den Sauerstoffmangel, sondern auch vor einer immer intensiver werdenden emotionalen Anspannung. Diese Anspannungen, verstärkt durch die allgegenwärtige Aussicht auf den Tod, eskalieren schnell und führen zu einem vollständigen Zusammenbruch der Ordnung. Bestehende Konflikte, wie das Mobbing eines Schülers, werden durch die Extremsituation weiter verschärft und entladen sich in gewalttätigen Auseinandersetzungen. Shiro Kuroi entfaltet in dieser düsteren Erzählung meisterhaft eine Rhetorik des Überlebenskampfes, in der die Masken der Zivilisation fallen und die wahre Natur jedes Einzelnen sichtbar wird.
Optisch überzeugt der Manga mit Detailverliebtheit, die besonders in den engen, klaustrophobischen Räumen des Raumschiffs ihre volle Wirkung entfaltet. Shiro Kurois Zeichnungen sind sorgfältig und präzise, wobei er es meisterhaft versteht, die bedrückende und ungesunde Atmosphäre an Bord der Leviathan einzufangen. Die Illustrationen variieren zwischen außerordentlich realistischen Darstellungen, die den technischen und strukturellen Aufbau des Schiffes eindrucksvoll zur Geltung bringen, und etwas groberen, weniger detaillierten Bildern, die vor allem bei weiter entfernten Aufnahmen zum Einsatz kommen. Diese stilistische Entscheidung trägt dazu bei, die Intensität und Nähe der bedrückenden Szenen zu unterstreichen.
Hervorzuheben ist die detailreiche Arbeit an den Gesichtern der Figuren. Kuroi gelingt es, den Horror und die Verzweiflung, die die Charaktere durchleben, in ihren Mienen greifbar und für den Leser unmittelbar erfahrbar zu machen. Jede Falte, jeder angespannte Muskel im Gesicht der Figuren spiegelt die tiefen psychologischen Wunden wider, die die Extremsituation auf dem Schiff hinterlassen hat.
Die Erzählstruktur des Mangas ist wirkungsvoll. Die Handlung springt geschickt zwischen der Gegenwart, in der die Wrackräuber das verlassene Schiff durchkämmen, und der tragischen Vergangenheit der einstigen Besatzung hin und her. Kazumas Tagebuch fungiert dabei als narrative Brücke, die die schrecklichen Ereignisse auf dem Schiff nach und nach enthüllt. Diese Rückblenden schaffen es, eine dichte Spannung aufzubauen, die den Leser unwiderstehlich in den Bann zieht. Auch wenn die Übergänge zwischen den Zeitebenen gelegentlich etwas abrupt wirken, beeinträchtigen sie den Lesefluss nur minimal. Vielmehr tragen sie dazu bei, ein komplexes und beunruhigendes Gesamtbild zu erzeugen.
Von Carlsen Manga wird die Reihe im Großformat veröffentlicht. Man hat sich bei der Veröffentlichung für ein Papier mit einem geringeren Weißheitsgrad entschieden, was aber durchaus zur Geschichte passt. Darüber hinaus wird die Erzählung mit einigen farbigen Seiten eingeleitet.
Fazit
Zusammengefasst bietet “Leviathan” einen düsteren Einstieg in eine Geschichte, die das Potential hat, die menschlichen Abgründe noch weiter auszuloten. Die Kombination aus atmosphärisch dichten Bildern, einer spannenden Handlung und der gekonnten Inszenierung menschlicher Schwächen machen den Manga zu einem vielversprechenden Werk, das auf jeden Fall Beachtung verdient. Shiro Kuroi zeigt hier, dass er das Zeug dazu hat, den Leser mit seinen düsteren Visionen zu faszinieren und zu verstören.
Bei diesem Manga handelt es sich um ein Rezensionsexemplar, welches mir freundlicherweise von Carlsen zur Verfügung gestellt worden ist. Vielen Dank dafür!