Heute soll es in der Kategorie “Manga-Spotlight” wieder um Vinland Saga und die “historischen” Vorlagen der jeweiligen Figuren gehen. An der Reihe ist dieses Mal Askeladd, dem gleich drei Figuren als Inspirationsgrundlage dienten.
Spoilerwarnung: In dem Artikel wird auf Ereignisse im Manga bis einschließlich Band acht Bezug genommen!
Askeladd ist eine der wichtigsten Personen im ersten Arc des Mangas und wohl auch einer der großen Lieblinge bei den Fans. Askeladd ist der Kommandeur einer kleinen, aber Wikinger-Bande, die ihren Erfolg Askeladds außergewöhnlicher Intelligenz verdankt. Zehn Jahre vor der Haupthandlung von Vinland Saga akzeptierte Askeladd einen Auftrag zur Ermordung von Thors, dem Vater von Thorfinn. Während der Invasion und des Krieges der Wikinger in England manipulierte er Thorfinns Wunsch nach Rache an ihm, um den begabten jungen Kämpfer in seinem Dienst zu halten. Askeladd gilt als einer der geschicktesten Kämpfer der Reihe.
In diesem Beitrag möchte ich euch seine literarischen und historischen Vorbilder kurz vorstellen und eventuelle Gemeinsamkeiten herausstellen.
Von norwegischen Sagen und Märchen
Namensgeber Askeladden
Sein Namensgeber ist Askeladden (oder Oskeladden in Nynorsk), eine fiktive Gestalt in vielen norwegischen Sagen und Märchen und eine wichtige Figur im norwegischen Kulturgut. Im nationellen Verständnis wird Askeladden oft als Träger “guter norwegischer Werte” wahrgenommen und als eine Art ideale Figur dargestellt.
Es gibt zwar noch andere Bezeichnungen für ihn in früheren Märchenniederschriften, später setzt sich aber Askeladden durch. In den Werken tritt Askeladd stets als Held auf.
Das der Mangaka sich intensiver mit diesen Märchen beschäftigt, zeigt sich insbesondere dann, wenn er den Leser in die Hintergrund-Geschichte von Askeladd einführt und es dort einige Überschneidungen mit den Charaktereigenschaften der Figur in den norwegischen Märchen gibt. Inbsesondere sein Handeln und taktisches Denken hat Parallelen zur Märchenfigur.
Askeladden wird als der Kleinste der Familie bezeichnet, der “der jüngste, kleinste und schwächste” ist. Doch “klug, mutig, geduldig” und trotz aller Widrigkeiten schließlich erfolgreich. Die Märchen über Askeladden erzählen oft davon, wie seine Brüder Per und Pål in ihren Geschäften versagen und schließlich Askeladden erfolgreich ist. Er ist ein bisschen albern und naiv, geht aber alle Herausforderungen an und ist am Ende immer siegreich und erhält häufig die Königstochter und das halbe Königreich. Oft ist sein Vorname Espen, insbesondere in Südnorwegen. Es kommen aber auch die Vornamen Svein, Halvor, Lars oder Hans vor. Meistens wird er jedoch einfach als Askeladden bezeichnet.
Weitere Artikel zum Manga Vinland Saga
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In den Märchen ist Askeladd derjenige, von dem die älteren Brüder nicht glauben, dass er irgendwas kann. Er sitzt zuhause an der Feuerstelle und “fischt in der Asche”. Ist also ein fauler Taugenichts, jemand den man keine schweren Arbeiten zutraut. In den ersten Ausgaben der norwegischen Märchen wird der jüngste Bruder häufig als Askepot (Aschenbrödel) bezeichnet, in späteren Ausgaben der Märchensammlungen geht dieser Name dann in Askeladden über.
Im Verlauf einer Geschichte stellt sich heraus, dass er doch etwas leisten kann. Er ist schlauer, taktischer und aufmerksamer gegenüber anderen, was deren Wohlbefinden und deren Hilfsbedürfnis angeht. Auf diese Weise kommt er zum Ziel, im Gegensatz zu den selbstsüchtigen und einfachen Brüdern, die nur ohne Gedanken für andere vorgehen oder in einen Unfall geraten.
Ich denke, es gibt Eigenschaften von Askeladden, die man auf Askeladd übertragen kann, insbesondere was sein taktisches Geschick angeht und selbst bei seinem Niedergang, ist es doch am Ende so, dass sein Plan aufgeht und er genau das erreicht, was er gewollt hat und als Sieger hervorgeht.
Askeladds Vorlage in der Laxdæla Saga
Wie viele Figuren aus Vinland Saga zieht Makoto Yukimura seine Inspiration für die Hintergrundgeschichte von Askeladd aus einer altnordischen Saga. In diesem Fall hat seine Geschichte viele Überschneidungspunkte mit Olaf Hoskuldsson aus der Laxdæla Saga. Eine Saga, die zu den bekanntesten Isländersagas zählt.
Olaf Hoskuldsson war ein Kaufmann und Häuptling des frühen isländischen Commonwealth, der den Spitznamen “der Pfau ” trug, da er eine stolze Haltung und prächtige Gardrobe hatte. Er wird neben der Laxdæla saga auch in anderen isländischen Quellen erwähnt. Sein Vater ist Hoskuld Dala-Kollsson, ein mächtiger und einflussreicher Mann, der während einer Handelsexpedition nach Norwegen eine stumme Thrallfrau namens Melkorka von einem russischen Händler kaufte. Trotz der Verärgerung seiner Frau wurde die Konkubine in Hoskuld’s Haushalt aufgenommen. Im folgenden Winter gebar Melkorka einen Sohn, dem sie den Namen Olaf gaben.
Laut der Laxdæla-Saga stach Olaf dadurch hervor, dass er bereits im Alter von zwei Jahren perfekt sprechen und gehen konnte. Eines Tages erwischt Olafs Vater seine Mutter zudem dabei, wie sie spricht, obwohl sie vorgab stumm zu sein. Als er sie damit konfrontierte, erzählte sie ihm, dass sie eine irische Prinzessin namens Melkorka ist, die bei einem Wikingerüberfall entführt wurde, und dass es sich bei ihrem Vater um den irischen König namens “Myrkjartan” handle.
Hier gibt es Parallelen zur Geschichte um Askeladds Mutter und seiner Herkunft aus einem königlichen Geschlecht.
Später wurde Olaf zu einem der reichsten Landbesitzer Islands und spielte in der zweiten Hälfte des zehnten Jahrhunderts eine wichtige Rolle in Politik und Gesellschaft. Neben der Laxdæla Saga, in der er eine Hauptrolle spielt, wird Olaf unter anderem auch in der Egils-Saga, der Njáls-Saga, der Gunnlaugs-Saga, der Kormáks-Saga, der Grettirs-Saga und der Landnámabók erwähnt.
In der Laxdæla-Saga werden zudem Reisen von Olaf nach Irland beschrieben, bei denen er sich bei dem Vater seiner Mutter vorstellt und sogar den Vorschlag bekam, dessen Nachfolger zu werden. Eine Tatsache, die Olaf bei seiner Rückkehr nach Island bekannt machte. Die Reise zeigt zudem, dass Olaf von seiner Mutter perfektes Irisch beigebracht bekommen hatte. Eine Parallele zu Askeladd. Der fährt ebenfalls nach Wales, wenn auch mit seiner Mutter zusammen, um ihr den letzten Wunsch zu erfüllen. Aber auch er scheint bei seiner Ankunft die Sprache zu beherrschen.
Von römischen Offizieren
Askeladd ist im Manga halb dänisch, halb walisisch und behauptet, dass er ein Nachkomme von dem römisch-britischen Lucius Artorius Castus sei, der Jahrhunderte zuvor gegen die Sachsen gekämpft hat. Seine Mutter habe ihn Lucius Artorius Castus genannt. Askeladd ist nur sein Spitzname.
Aber wer war dieser Lucius Artorius Castus? Um es auf wenige Sätze runterzubringen, handelt es sich dabei um einen römischen Militärkommandanten im späten 2. oder frühen 3. Jahrhundert. Er wird für einen möglichen Kandidaten für die historische Basis der Sage von König Artus gehalten. Ein Umstand auf den sich auch Makoto Yukimura in seinem Manga bezieht und als Inspiration für Askeladds Geschichte heranzieht.
Alles was man über Lucius Artorius Castus weiß, stammt aus zwei Inschriften, die sich auf ihn beziehen. Die erste Inschrift befand sich auf einem zerbrochenen Sarkophag, der in Kroatien gefunden wurde. Die Inschrift ist zum Teil nicht lesbar und wird daher von verschiedenen Wissenschaftlern unterschiedlich gedeutet. Die zweite Inschrift wurde nicht unweit der ersten gefunden, war aber ebenfalls teilweise zerstört. Im 19. Jahrhundert wurde eine dritte Inschrift in der Nähe von Paris entdeckt, da sie aber nur wenige Informationen enthält, ist nicht gesichert, dass sie sich überhaupt auf eben jenen Lucius Artorius Castus bezieht.
Aus den Inschriften geht hervor, dass er eine Militärkarriere machte und Präfekt der Legio VI Victrix war, die ab 122 n. Chr. in Britannien stationiert war. Männer, die diesen Titel erreichten, waren normalerweise 50-60 Jahre alt und waren die meiste Zeit ihres Lebens in der Armee gewesen. Für die meisten, die diesen Rang erreicht hatten, wäre es der letzte vor der Pensionierung. Während der Schlachten blieb der Präfekt normalerweise bei den Reservetruppen in der Heimatbasis der Einheit. Aufgrund seiner administrativen Position und seines vermutlich fortgeschrittenen Alters ist es unwahrscheinlich, dass Castus während seines Dienstes in Großbritannien tatsächlich in Schlachten kämpfte. Bevor Castus seine Militärkarriere beendete, leitete er eine Expedition von besonderer Bedeutung als Dux Legionum, ein vorübergehender Titel, der Offizieren verliehen wurde, die in einer Eigenschaft über ihrem Rang handelten.
Kemp Malone war 1924 der erste, der die Möglichkeit erwog, dass Lucius Artorius Castus die Inspiration für König Arthur gewesen sein könnte, doch dies wurde seither von Artus-Gelehrten stark kritisiert und mit vielen Fakten widerlegt. Auch wenn weiterhin die Möglichkeit besteht, dass Artorius’ Erlebnisse durch örtliche Geschichten überlebten und zu Legenden wurden. Beweise für diese Theorie gibt es aber bisher nicht und o bleibt es lediglich eine von vielen Theorien rund um die Artus-Sage.
Weiterführende Informationen und Literatur
Allgemeines über Askeladden u.a.
Deutsche Informationen und Links gibt es zu Askeladden leider nicht viele. Nach ein bisschen Suche habe ich aber ein paar der Märchen auch in einer Übersetzung gefunden.
Eintrag im Store norske leksikon (Norwegisch)
Askeladden – underdog?: var Askeladden psykisk utviklingshemmet? – Artikel von Tony Valber in der Samtiden, Nr 4 1996 (Norwegisch).
Wikipedia-Eintrag (Norwegisch)
Die original Märchen (es handelt sich jeweils um deutsche Übersetzungen)
Per, Pål og Espen Askeladd (Per, Pål und Espen Askeladd)
Risen som ikke hadde noe hjerte på seg (Von dem Riesen, der sein Herz nicht bei sich hatte)
Askeladden som kappåt med trollet (Askeladden, der mit dem Troll um die Wette aß)
Det har ingen nød med den som alle kvinnfolk er glad i (Wen alle Weiber lieben, mit dem hat’s keine Not)
De syv folene (Die sieben Füllen)
Gullslottet som hang i luften (Das goldene Schloss, das in der Luft hing)
Jomfruen på glassberget (Die Jungfrau auf dem gläsernen Berg)
Prinsessen som ingen kunne målbinde (Die Prinzessin, die niemand zum Schweigen bringen konnte)
Laxdæla saga
Island Sagas, Diederichs. München 1995.(ISBN:3-424-01301-3): Dreibändige Ausgabe, die meines Wissens im Handel nicht mehr erhältlich ist. Aber noch gut gebraucht zu bekommen für kleines Geld. Teilweise ältere Übersetzungen. Enthalten sind hier viele der Sagas, auf den sich der Manga bezieht. Die Laxdæla saga findet ihr im ersten Band “Island Sagas. Erzählkunst”.
Englische Online-Übersetzung der Laxdæla saga
Von römischen Offizieren
Higham, Nicholas J., King Arthur: The Making of the Legend, Yale University Press, 2018.
Artikel von Linda A. Malcor’s über Lucius Artorius Castus in “The Heroic Age”, Teil 1 & Teil 2 (Englisch)