Taiyo Matsumoto hat sich in all seinen Schaffensjahren inzwischen einen Namen in der Manga-Branche gemacht und auch in Deutschland sind durch Reprodukt, Carlsen und Manga Cult inzwischen einige seine Werke erschienen. Während bei Reprodukt im Mai 2024 mit “Blue Spring” einen seiner älteren Manga erscheinen wird, startete bei VIZ in den USA zuletzt mit “Tokyo These Days” seine neuste Veröffentlichung.
In Japan erschien “Tokyo These Days” vom Juni 2019 bis zum Juni 2023 in Shogakukans Seinen-Magazin Big Comic Original Zokan. Die Reihe wird in der Summe drei Bände umfassen. Der Manga wurde in Japan für den 27. und 28. Osamu-Tezuka-Kulturpreis nominiert.
Story & Zeichnungen: Taiyo Matsumoto | Originaltitel: Tokyo Higoro | Genre: Drama, Slice-of-Life | Demografische Zielgruppe: Seinen | Verlag: VIZ Media | Preis: ca. 27,00€ (auf US-Manga gibt es keine Preisbindung)| Der Manga bei VIZ Media
Wie war’s?
Jeder, der mit Taiyo Matsumotos Werken vertraut ist, weiß, dass sie sich wenig an die Normen des Marktes halten. Sie sind ungewöhnlich, unkonventionell und manchmal schwer zugänglich. In den letzten Jahren habe ich persönlich viele Werke von Matsumoto gelesen, und neben “Sunny” gehört “Tokyo These Days” definitiv zu den Serien, die ich Einsteigern in seine Mangas empfehlen würde. Beide Geschichten haben einen ähnlichen Erzählton.
In “Tokyo These Days”, das auf einer 2015 verworfenen Kurzgeschichte von Matsumoto basiert, dreht sich alles um Kazuo Shiozawa. Nach dreißig Jahren als Manga-Redakteur kündigt er seinen Job. Anschließend begibt er sich in ein Café, das er regelmäßig besucht hat, um den Mangaka Chosaku zu treffen, dessen Werke er bearbeitet hat. Auf dem Weg dorthin sinniert er darüber, wie viele Tage er in diesem Zug zwischen Kanda, wo sich sein Büro befand, und dem Bahnhof, an dem Chosaku wohnt, hin- und hergefahren ist.
Diese Sequenz zeigt uns bereits, was für eine Geschichte uns Matsumoto dieses Mal serviert, obwohl sie nur über wenige Seiten geht. Wir erfahren hier schon viel über unseren Protagonisten, der die Handlung der folgenden Kapitel zusammenhalten wird. Sein kurzer Haarschnitt, die geklebte Brille und die Art und Weise, wie er so ordentlich mit all seinen Habseligkeiten auf dem Schoß sitzt, obwohl die einzige andere Person im Zug ein kleines Kind ist, vermitteln uns ein erstes Bild davon, wer Shiozawa ist. “Ich habe das Vertrauen aller Künstler und Autoren, die ich betreut habe, missbraucht”, gesteht er Chosaku in einer letzten Besprechung, bevor er ihm unvermittelt mitteilt, dass sich seine Comics schon lange leer anfühlen.
Shiozawa ist bereit, mit Manga abzuschließen, weil er nicht glaubt, dass er das gewisse “Etwas” noch hat, was nötig ist. Doch als er seine persönliche Manga-Bibliothek an einen Second-Hand-Laden verkaufen möchte, gerät etwas in ihm ins Wanken. Er ist fasziniert von den Covern der Werke, die für ihn weiterhin von Bedeutung sind, sei es Daijiro Morohoshi oder Katsuhiro Otomo. Er kann sich nicht von ihnen trennen. So beschließt er impulsiv und unausweichlich, eine neue Anthologie mit Mangas zusammenzustellen, von denen er weiß, dass sie “gut” sind.
Damit beginnt seine Suche nach dem einen, letzten Manga, seinem großen Lebenswerk. Obwohl die Haupthandlung einfach und auf den Punkt gebracht ist, trifft man in “Tokyo These Days” auf einen facettenreichen Titel. Die Geschichte ist langsam und gewährt einen Insider-Blick auf die Manga-Industrie. In Shiozawas Umfeld treffen wir auf eine Vielzahl von Menschen aus der Manga-Branche, die alle auf ihre eigene Weise mit Problemen zu kämpfen haben. Chosaku, der übergewichtige, trinkfeste, kettenrauchende Autor, ist wohlhabend, doch ihn erfüllt das Geld nicht und er ignoriert die Warnungen seines Arztes bezüglich seiner schlechten Gesundheit. Mangaka Aoki Shu steckt seinerseits in einem Konflikt mit seiner neuen Redakteurin Liliko Hayashi fest und ist der Meinung, dass nur Shiozawa seine Geschichten schätzt.
Andere haben die Welt der Mangas vollständig verlassen: Shin Arashiyama hat seine Leidenschaft für Manga verloren, seine Familie verlassen und lebt nun in einem Wohnkomplex, wo er als Hausmeister arbeitet und die Rolle des Griesgrams spielt, um seine tiefe Einsamkeit zu verbergen. Kaoru Kiso arbeitet als Kassiererin in einem Supermarkt, wenn sie sich nicht gerade um ihren eigenwilligen pubertierenden Sohn und ihren Gamer-Ehemann kümmert. Inspiriert von ihrer Begegnung mit Shiozawa, holt sie sich ein paar Stifte in einem Geschäft, um zu sehen, ob sie noch das Zeug hat, um einen Manga zu zeichnen.
Arashiyama und Kiso könnten nicht unterschiedlicher sein. Während er nichts mehr mit Manga zu tun haben möchte, scheint sie nur auf den Tag gewartet zu haben, an dem eine kleine Glut in ihr das Feuer wieder zum Leben erwecken würde. Gleichzeitig ist ihr Kapitel das Einzige, in dem Matsumoto wohl überlegt auch stilistisch arbeitet, indem er Abschnitte ihres Mangas in einem Stil zeichnet, der sich von seinem eigenen durchaus unterscheidet. Dadurch entsteht ein faszinierender Vergleich zwischen Kisos Welt und der Welt in ihrem Kopf.
Jede Figur in “Tokyo These Days” ist facettenreich und trägt zur Gesamtgeschichte bei. Obwohl wir einigen Charakteren nur wenige Seiten widmen, schafft es Matsumoto doch, sie mit viel Tiefe zu füllen. Ähnlich wie in seiner sechsbändigen Serie “Sunny” geht Matsumoto auch hier ruhig und ohne Eile an seine Erzählung heran. Hier tritt die Routine des Alltags in den Vordergrund. Ein Leben, so betont Matsumoto, besteht aus den stillen Momenten, den kleinen Ereignissen und den unerlässlichen Besorgungen, die unsere Tage ausfüllen, einer nach dem anderen.
Nicht nur auf der Ebene des Storytellings, sondern auch mit seinem Zeichenstil setzt sich Taiyo Matsumoto ab. Sein Stil ist eigenwillig, weniger perfektionistisch und könnte bei manchen Mainstream-Lesern auf Ablehnung stoßen, passt aber perfekt zu den Charakteren und der Geschichte. Es ist ein rauer, sehr skizzenhafter Stil, bei dem häufig Wasserfarben zum Einsatz kommen, beispielsweise um Flächen zu füllen, Haare zu malen oder Hintergründe darzustellen. Auf den Einsatz von Rasterfolie, die im Großteil des modernen Mangas vorkommt, wird indes völlig verzichtet.
VIZ veröffentlicht “Tokyo These Days” in einem Hardcover-Format, bei dem man nach Preiserhöhungen beim US-Verlag mit etwas höheren Ausgaben rechnen muss als bei vorherigen Matsumoto-Werken des Verlags. Trotz allem wird der Band mit viel Liebe zum Detail hergestellt und weiß mit einem stoffartigen Einband und einigen Farbseiten zu überzeugen.
Fazit
“Tokyo These Days” ist sicherlich keine Reihe für die breite Masse, wer allerdings ruhige Geschichten mit einem gewissen Extra zu schätzen weiß, wird seine Freunde an dem dreibändigen Werk finden.
Mit viel Ruhe und tiefgehenden Charakterstudien weiß Matsumoto uns wieder in eine Welt zu entführen, die auch nach dem Zuklappen des Bandes noch nachhallt.