Herzlich willkommen auf meinem Mangablog. Hier findet ihr Rezensionen zu deutschen und englischen Manga sowie Beiträge über Themen und Aspekte, die mich an dem Medium interessieren. Ab und an schaue ich auch über den Tellerrand hinaus und schnuppere in Comic-Kunst abseits Japans hinein.

Manga Review: Teufelsfisch

Teufelsfisch

Fans von alternativen und experimentellen Manga finden inzwischen seit einigen Jahren beim Verlag Reprodukt aus Berlin immer wieder neuen Lesestoff. Nachdem der Verlag 2021 bereits “Roter Schnee” von Susumu Katsumata herausgebracht hatte, findet sich nun mit “Teufelsfisch” ein weiterer Titel des Autors im Portfolio des Verlags. In Japan wurde die Sammlung im Oktober 2011 unter dem Titel “Shinkaigyo” herausgebracht.

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Text/Zeichnungen: Susumu Katsumata |Originaltitel: Shinkaigyo | Übersetzung: Daniel Büchner| Verlag: Reprodukt | Genre: Historisch, Drama | Preis: 16,00€ | Weitere Informationen

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Wie war’s?

Am 11. März 2011 um 14.46 Uhr Ortszeit ereignete sich das Tohoku-Erdbeben, ein Seebeben, das einen Tsunami auslöste. Die 15 Meter hohen Wellen überspülten auch das Kernkraftwerk Fukushima Dai-ichi, das in den folgenden Tagen zum Schauplatz eines der schwersten Nuklearunfälle seit Tschernobyl werden sollte.

Für viele Beobachter war die Katastrophe von Fukushima eine absehbare Tragödie. Wäre er noch am Leben, hätte sich Mangaka Susumu Katsumata dieser Kritik zweifellos angeschlossen. Der 1943 in der Präfektur Myagi, einer der am stärksten vom Tsunami betroffenen Regionen, geborene und 2007 verstorbene Mangaka hatte Atomphysik studiert und bereits 20 Jahre vor der großen Katastrophe vor den Gefahren von Atomkraftwerken gewarnt.

Die ersten Geschichten von „Teufelsfisch“ führen ins Herz eines Atomreaktors. Und sie zeigen den zermürbenden Alltag der Reaktor-Wartungsarbeiter, die resigniert mit der Strahlung leben. Diese Szenen sind erschreckend, wenn man bedenkt, dass die Kraftwerksbetreiber nie aufgehört haben, so genannte „Genpatsu-Gypsies“ einzusetzen, Arbeiter, die mit den gefährlichsten Arbeiten betraut werden. In Fukushima waren es zum Zeitpunkt des Erdbebens 650.

Quasi dokumentarisch schildert Katsumata detailliert ihre Arbeit – die mühsame Vorbereitung vor dem Betreten der Kontrollbereiche, die Nachlässigkeit der Sicherheitsvorkehrungen, die Verzweiflung des Arbeitgebers, Unfälle zu vertuschen. So entsteht ein intimes Porträt der Verletzlichkeit und Einsamkeit.

Für all diese Arbeiter ist die Anspannung permanent, das Risikobewusstsein allgegenwärtig. Sie sind Arbeitsbedingungen ausgesetzt, die man niemandem wünscht: Das mulmige Gefühl, wenn man zur Arbeit kommt, die erstickende Hitze im Schutzanzug, die Angst um das eigene Leben, das bange Verfolgen der Informationen, die das Dosimeter übermittelt…. Denn wenn das Dosimeter knistert, bedeutet das eine gefährliche Strahlenbelastung. Wir begleiten die Figuren, die verbal und durch ihre Handlungen zeigen, wie ihr Arbeitsalltag aussieht und welche Risiken er birgt. Unter den Kollegen wird heftig diskutiert. Katsumatas Arbeiter sind einfache Männer, die sich unbeholfen in einer imposanten Umgebung bewegen, unsicher und voller Ungewissheit über die Risiken, die täglich ihre Gesundheit untergraben. Sie haben Angst vor einem plötzlichen Tod, sie wissen, wie viel Strahlung sie täglich aufnehmen, sie verlieren in kürzester Zeit ihre Haare, und die Institutionen tun alles, um die Risiken und Gefahren oder die alarmierenden Signale, die die Natur den Menschen sendet, zu verschleiern.

Die Titelgeschichte endet damit, dass ein Arbeiter in seinem Hotelzimmer vor einem Pornovideo sitzt, sein Rücken ist übersät mit kirschblütenförmigen Flecken, die wie Knutschflecken aussehen, in Wirklichkeit aber Strahlenflecken sind.

„Als befände man sich am Meeresgrund. Ein ziemlich beklemmendes Gefühl“, sagt ein Arbeiter in Teufelsfisch. Die Seite zeigt Arbeiter, die unter einem riesigen Wassertank, der wie die Tentakel eines Kraken aussieht, radioaktive Verschmutzungen beseitigen und Schrauben festziehen. Ein lautes Maschinenbrummen durchzieht das Bild, während visualisierte radioaktive Partikel die Arbeiter umgeben. Einige Seiten später rutscht ein älterer Arbeiter bei Reparaturarbeiten auf seiner Leiter aus und stürzt in die Tiefe. Da er keine Luft mehr bekommt, nimmt er seine Maske ab und setzt seinen Körper der Strahlung aus. Als die Arbeiter ihn in Sicherheit bringen, stehen sie vor einem Problem: Jeder muss vor Verlassen des Gebäudes frei von Strahlung sein. Um Partikel zu entfernen, die sich in einer blutigen Wunde festgesetzt haben, muss der Kopf des Mannes immer wieder abgerieben werden. Ein Vorgesetzter weigert sich aus Angst vor schlechter Publicity, einen Krankenwagen zu rufen. Stattdessen wird der Verletzte über eine Laderampe geschleust und mit einem Taxi ins Krankenhaus gebracht. „So behandelt man doch keine Menschen“, meint ein Mitarbeiter anschließend.

Nachdem Katsumata uns in den ersten beiden Kurzgeschichten in die bedrückende Welt der Atomkraftwerke mitgenommen hat, ändert sich das Szenario seiner Geschichten. Die anderen Geschichten des Bandes zeigen uns eine ländliche Welt, die von Kappa und Tanuki bewohnt wird. Die Geschichten spielen im Japan der 1950er und 1960er Jahre, einer Zeit, in der sich die Japaner langsam von den Traditionen lösten. Volkstümliche Legenden und Aberglaube machen Platz für Modernismus und Industrialisierung. Es ist eine Gesellschaft im kulturellen Übergang, die hier vorgestellt wird.

Die letzten Erzählungen sind persönlicher. Die Texte, die am Ende des Bandes stehen, zeigen ihre ganze symbolische Bedeutung. Der Autor, der seinen Vater nie kennengelernt und seine Mutter verloren hat, als er sechs Jahre alt war, versucht sich vorzustellen, was eine Mutter und eine Familie sind, obwohl er nur wenige Erinnerungen daran hat. Dieser Teil des Erzählbandes ist manchmal schwer zu erfassen, da die Geschichten assoziativ aufgebaut sind.


Grafisch dürfte der Band vor allem für Leser*innen moderner Manga-Werke ungewohnt sein. Der Stil ist klar, mit geschlossenen rechteckigen Panels. Die Illustrationen sind einfache, kontrastreiche Schwarz-Weiß-Zeichnungen. Das Charakterdesign der Figuren ist cartoonartig, aber dennoch ausdrucksstark. Katsumata zeigt uns, wie aus nur wenigen Strichen in einem Gesicht eine Fülle von Emotionen und Motivationen entstehen kann. Manchmal ist es jedoch schwierig zu erkennen, was genau zwischen den Panels und manchmal sogar in den Panels selbst passiert. Dies gilt insbesondere für die zweite Hälfte des Bandes.

Im Anschluss des Bandes finden sich zwei Essays, die sich näher mit dem Mangaka und seinem Werk auseinandersetzen und weitere Details in den abgebildeten Geschichten erkennbar machen.

Die Kurzgeschichtensammlung ist von Reprodukt liebevoll gestaltet. Der Band ist als Klappenbroschur mit einem kartonartigen Umschlagpapier herausgebracht. Die Innenseiten des Umschlags sind ebenfalls mit einer Illustration bedruckt.

Fazit

“Teufelsfisch” ist sicherlich kein Titel, den ich ohne Einschränkungen empfehlen würde. Aus meiner Sicht ist die Sammlung vor allem dann lesenswert, wenn man bereits Berührungspunkte mit alternativen Manga hat. Denn während ich den ersten Teil als durchaus zugänglich bezeichnen würde, ist die zweite Hälfte des Bandes doch ein wenig kryptischer und erschließt sich nicht unbedingt der breiten Masse. Insbesondere Neulinge dürften es aus meiner Sicht schwerhaben, wenn sie kein Vorwissen japanischer Folklore besitzen.

Nichtsdestotrotz hat mich “Teufelsfisch” wirklich unterhalten und war für mich auch zugänglicher als Katsumatas Kurzgeschichtensammlung “Roter Schnee”.

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Bei diesem Band handelt es sich um ein Rezensionsexemplar, welches mir freundlicherweise von Reprodukt zur Verfügung gestellt worden ist. Vielen Dank dafür!

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