[Anzeige, da Rezensionsexemplar]
CW: Missbrauch, Suizidalität
Lange hieß es nach Verschiebungen auf den Band warten, nun kann ich eine der Veröffentlichungen, auf die ich in den letzten Monaten sehr hingefiebert habe, endlich in den Händen halten.
Bei Home Far Away stammt aus der Feder von Teki Yatsuda, für die der Boys-Love-Einzelband die erste große Veröffentlichung war. Der Manga erschien in Japan unter dem Titel Haruka Tooki Ie vom September 2020 bis zum Februar 2021 im Canna-Magazin.
Aktuell arbeitet die Mangaka mit The Yakuza’s Bias an einer Comedy-Reihe sowie einem weiteren Boys-Love-Manga (Kami no Fune de Nemuru), der sich mit schwierigen Thematiken befasst.
Text & Zeichnungen: Teki Yatsuda | Originaltitel: Haruka Tooki Ie| Übersetzung: Dorothea Überall| Genre: Drama, Boys Love | Verlag: Carlsen Manga| Preis: 8,50€ | mehr Informationen auf der Verlagsseite
Wie war’s?
Alain fühlt sich nirgendwo so unwohl wie bei sich zu Hause. Seine Eltern leben ein streng religiöses Leben und interpretieren jede Herausforderung oder Krankheit als Sünde und das Werk des Teufels. Diese Situation belastet Alain enorm, besonders weil er zusätzlich unter einer chronischen Krankheit leidet, die seine Eltern ebenfalls auf eine vermeintliche Sünde von ihm zurückführen. Für Alain ist das Leben erdrückend, aber er sieht keine andere Fluchtmöglichkeit.
Eines Abends, nachdem er die Ausgangssperre überschritten hat, beschließt Alain, nicht schnellstmöglich nach Hause zurückzukehren, obwohl er weiß, dass dies Konsequenzen haben wird. Stattdessen setzt er sich auf die Treppe eines Lokals. Dort wird er von einem Angestellten namens Hayden angesprochen. Die beiden kommen ins Gespräch und finden einen unerwarteten emotionalen Zusammenhalt und sie treffen sich auch in den folgenden Tagen immer wieder. Hayden gesteht Alain, dass er ein Herumtreiber ist und bald weiterziehen wird. Alain ist traurig über die Aussicht, Hayden zu verlieren, doch er ist gleichzeitig dankbar für die Freundschaft und die Möglichkeit, offen über seine Gefühle zu sprechen.
Der Tag, an dem Hayden abreisen will, kommt näher und Alain fühlt sich verzweifelt. In einem emotionalen Moment gesteht er Hayden, wie er sich fühlt und dass er keine Lösung für seine Situation sieht. Zu seiner Überraschung bietet Hayden ihm an, mit ihm zu fliehen. Alain ist unsicher und weiß, dass es Risiken birgt, aber er erkennt, dass dies eine Gelegenheit ist, sein eigenes Glück zu suchen und Entscheidungen für sein Leben zu treffen.
Schließlich fliehen Alain und Hayden gemeinsam. Ihre Reise ist voller Unsicherheiten und Schwierigkeiten, aber sie erleben auch kleine Momente der Freude und Selbstbestimmung. Sie versuchen, ihre Vergangenheit hinter sich zu lassen und sich auf das Hier und Jetzt zu konzentrieren, doch schnell stellt sich heraus, dass sich ihre dunklen Vergangenheiten nicht so schnell abschütteln lassen.
Home Far Away ist keinesfalls ein leichter Road-Movie mit einem Hauch Melancholie, wie das Cover zunächst vermuten lässt. Die Geschichte von Mangaka Teki Yatsuda widmet sich schwierigen Themen und auch über den kleinen Momenten der Fröhlichkeit scheint etwas Dunkles zu sein, welches die beiden Charaktere bedroht. Carlsen Manga weist auf dem Rückenbild nach dem Klappentext darauf hin, dass der Manga sich mit schwierigen Themen befasst und es gibt auch zum Abschluss noch einmal ein Hinweis auf eine Notfall-Nummer, ich hätte mir aber gewünscht, dass die Triggerwarnung sichtbarer noch einmal vor dem Start der Geschichte eingebracht wird. Einfach, weil ich weiß, dass viele Fans Klappentexten im Geschäft keine Aufmerksamkeit schenken.
Die Psychologie der Charaktere Alain und Hayden ist tiefgründig und geprägt von dunklen Erfahrungen, die ihr Leben belasten.
Alain führt mit seinen 17 Jahren ein deprimierendes Leben bei seinen lieblosen Eltern. Diese flüchten sich in ihren Glauben, wobei sie sich ihm gegenüber sowohl distanziert als auch paradoxerweise erdrückend verhalten, was zu einer distanzierten und erdrückenden Dynamik zwischen ihnen und Alain führt. Der Mangel an Zuneigung und die paradoxen Verhaltensweisen seiner Eltern haben ihn gezeichnet und innerlich erschüttert.
Auf der anderen Seite ist Hayden ein Nomade, der von Ort zu Ort zieht, ohne sich an irgendetwas festzubinden. Sein sonniges Äußeres verbirgt eine tiefe Einsamkeit, die auf eine schwierige Kindheit zurückzuführen ist. Seine drogenabhängige Mutter hat sein Leben geprägt, wodurch er sich unwohl in seiner eigenen Haut fühlt und Schwierigkeiten hat, sich emotional zu binden.
Als das Schicksal Alain und Hayden zusammenführt, beginnt eine langsame Annäherung zwischen ihnen. Beide erkennen, dass sie in ihrem jeweiligen Leben ein Licht vermissen, das ihnen Trost und Hoffnung geben könnte. Durch ihre gemeinsamen Gespräche und Erlebnisse erkennen sie, dass sie trotz ihrer unterschiedlichen Hintergründe eine Art Seelenverwandtschaft teilen. Die Dunkelheit in ihrem Leben wird von einem zarten Licht des Verständnisses und Mitgefühls erhellt, das sie im anderen sehen.
Ihre inneren Kämpfe und emotionalen Narben werden auf eine Weise dargestellt, die einen tief berühren, zumal insbesondere Alains Geschichte – ohne zu viel vorwegzunehmen – brisante Aktualität auch in Deutschland hat. Doch die Schatten der Depression und der düsteren Vergangenheit sind nie allzu weit entfernt. Diese Mischung aus zarten Hoffnungsschimmern und anhaltender Melancholie macht die Geschichte zu einer ganz besonderen Lektüre.
Die ständigen Schwankungen zwischen den zwei Extremen – den kurzen Momenten des Glücks und der langanhaltenden Dunkelheit – ziehen uns in die Tiefe der Emotionen hinein. Die Geschichte offenbart die menschliche Verletzlichkeit und die Tragik, die das Leben manchmal mit sich bringt. Die Lektüre lässt Raum für nachdenkliche Reflexionen über die menschliche Psyche, die Suche nach Glück und die Bewältigung von Schmerz. Obwohl es Momente der Hoffnung gibt, bleibt die Melancholie immer präsent und verleiht der Geschichte eine gewisse Schwere und Tiefe. Die Charaktere sind zutiefst real und authentisch in ihren Kämpfen und das gewagte Ende der Autorin aus meiner Sicht völlig logisch und passend.
Die Tatsache, dass die Geschichte bestimmte Probleme innerhalb der Kirche anspricht und die Herausforderungen eines grenzenlosen Glaubens beleuchtet, verleiht ihr eine zusätzliche Dimension der Tiefe und Relevanz.
Mangaka Teki Yatsuda hat einen Zeichenstil, der sich für mich auch hervorragend für eine großformatige Veröffentlichung geeignet hatte. Auch wenn ihr Stil durchaus in die Bishonen-Richtung geht, so weißt Yatsuda doch einen unheimlich realistischen und detaillierten Stil auf. Mit ihren detaillierten Hintergründen schafft die Autorin es, die 90er-Jahre abzubilden, und liefert reichhaltige Abbildungen von Städten und Straßen. Dadurch entsteht eine lebendige Kulisse, die zum Eintauchen einlädt.
Ein besonderes Highlight sind die filigranen Zeichnungen der Augen und Gesichter. Yatsuda legt großen Wert auf die Darstellung von Emotionen, und die Panels mit Großaufnahmen der Augen sind fesselnd. Durch diese Detailverliebtheit gelingt es ihr, die Gefühle der Figuren auf eine tiefgründige Weise zu vermitteln.
Eröffnet wird der Band zusätzlich mit einer Farbseite, die die beiden Hauptfiguren zeigt.
Fazit
Insgesamt ist Home Far Away eine ganz besondere Lektüre, die den Leser mitnimmt und berührt. Sie offenbart die menschliche Verletzlichkeit und Tragik und befasst sich mit schwierigen Themen, weshalb es für mich unerlässlich ist, die auf dem Backcover abgedruckten Triggerwarnungen vor der Lektüre durchzulesen.
Empfehlen würde ich den Band vor allem älteren Fans. Die Boys Love-Elemente sind meiner Meinung eher gering, so dass man den Band auch genießen kann, wenn man mit dem Genre sonst eher wenig Vergnügen hat.
Bei diesem Manga handelt es sich um ein Rezensionsexemplar, welches mir freundlicherweise von Carlsen zur Verfügung gestellt worden ist. Vielen Dank dafür!