[Anzeige, da Rezensionsexemplar]
CW: Suizidalität
Manche Geschichten hallen auch nach dem Lesen für einige Zeit nach. Ein solcher Fall ist “Sleeping on Paper Boats”. Ein Werk, welches sich aus meiner Sicht durch seine philosophische Tiefe, komplexen Charaktere und eine unheimliche, fast surreale Atmosphäre auszeichnet.
Wer auf klassische Boys’ Love mit romantischen oder leichtgängigen Elementen hofft, wird hier nicht fündig. Stattdessen taucht Yatsuda tief in existenzielle Themen ein: Trauma, Schicksal, Kreativität und die Grenzen zwischen Leben und Tod.
“Kami no Fune de Nemuru”, wie der Manga im Japanischen heißt, erschien 2023 im Boys-Love-Magazin Canna und wird in zwei Bänden abgeschlossen sein. In Deutschland liegt die Lizenz bei Carlsen Manga, die auch bereits “Home Far Away” der Mangaka in ihrem Katalog haben.

Text & Zeichnungen: Teki Yatsuda | Originaltitel: Kami no Fune de Nemuru| Übersetzung: Dorothea Überall| Genre: Drama, Boys Love | Verlag: Carlsen Manga| Preis: 8,50€ | In zwei Bänden abgeschlossen | mehr Informationen auf der Verlagsseite

Wie war’s?
Kei Kitahara, ein visionärer Drehbuchautor im Nachkriegsjapan, hat sich geschworen, nie wieder zu schreiben. Der Grund? Die Menschen, die ihm als Vorbilder für seine Charaktere dienten, sind nacheinander auf tragische Weise ums Leben gekommen. Als Schüler war Kei einer der wenigen Überlebenden eines verheerenden Straßenbahnunglücks. Seitdem verfolgt ihn die düstere Vorstellung, dass sein Talent nicht nur inspiriert, sondern auch tötet. Der einzige Ausweg, den er für sich sieht, ist der Alkohol – bis er dem Fotografen Yoichi Mikami begegnet.
Yoichi lebt in einem Bordell und hält sich mit seiner Kamera über Wasser. Er erkennt Kei und nimmt ihn auf. Zwischen den beiden Männern entwickelt sich eine tiefgehende Beziehung, die sowohl von gegenseitiger Faszination als auch von Misstrauen geprägt ist. Kei fühlt sich von Yoichis Unschuld angezogen und ist gleichzeitig davon besessen, ihn nicht in seine dunkle Welt hineinzuziehen. Doch die Versuchung, erneut zu schreiben – diesmal über Yoichi – wächst mit jedem Tag. Als Kei schließlich das Angebot erhält, ein Drehbuch nach eigenen Vorstellungen zu schreiben, steht er vor einer unmöglichen Entscheidung: Bedeutet sein Comeback Yoichis Untergang?
Während Kei und Yoichi sich langsam näherkommen, bleibt der Schatten der Vergangenheit stets gegenwärtig. Die Geister von Keis verstorbenen Freunden verfolgen ihn und drohen, ihn in den Wahnsinn zu treiben. Seine Albträume sind so real, dass er sich manchmal fragt, ob er überhaupt noch zwischen Realität und Fantasie unterscheiden kann. Die Geschichte zieht den Leser immer tiefer in ein Labyrinth aus Wahrheit und Illusion, das ebenso faszinierend wie erschreckend ist.
Immer wieder werden Rückblenden genutzt, um Keis Vergangenheit und seine Schuldgefühle zu veranschaulichen. Gleichzeitig verwebt Yatsuda subtile Hinweise darauf, dass Yoichi selbst nicht so unschuldig ist, wie es zunächst den Anschein hat. Ist ihre Begegnung wirklich zufällig, oder steckt etwas Größeres dahinter?
Es ist nicht nur die Geschichte zweier Männer, die auf eine unkonventionelle Weise zueinanderfinden, sondern auch eine Erkundung der menschlichen Psyche, des künstlerischen Schaffens und der dunklen Schatten, die sich aus der Vergangenheit in die Gegenwart erstrecken. Das Drama, das sich zwischen Kei Kitahara und Yoichi Mikami entfaltet, entwickelt sich zu einer tragischen Reise, in der ein Happy End unerreichbar scheint.
Der Manga greift auch soziale und historische Themen auf. Die Nachkriegszeit, in der die Gesellschaft Japans tief verwundet und desillusioniert war, bildet den Hintergrund für diese tragische Geschichte. Die Angst vor dem eigenen Schicksal, der Versuch, sich von der Vergangenheit zu lösen und ein neues Leben aufzubauen, sind wiederkehrende Themen, die den Leser auf emotionaler Ebene berühren.
“Sleeping on Paper Boats” ist ein Werk, das sich mit der Vergänglichkeit des Lebens und der künstlerischen Obsession auseinandersetzt. Kei und Yoichi teilen ein Schicksal, das über das rein Menschliche hinausgeht. Während Kei von der Angst verfolgt wird, dass sein kreatives Schaffen den Tod bringt, scheint Yoichi der einzige Mensch zu sein, der ihm Erlösung bieten kann. Doch ist ihre Verbindung wirklich eine Rettung oder nur eine weitere Tragödie in der endlosen Spirale aus Schicksal und Verhängnis?
Immer wieder wird die Figur des Shinigami thematisiert. Kei sieht den blutüberströmten Jungen aus dem Straßenbahnunglück als eine Art Vorbote des Todes. Auch in seinen Träumen und Albträumen taucht dieses Wesen auf, wodurch der Manga eine bedrückende, fast übernatürliche Dimension erhält. Besonders gelungen ist die Art, wie Teki Yatsuda diese Themen visuell umsetzt: Schatten, verlassene Straßen, kaltes Licht und die bedrückende Nachkriegsatmosphäre unterstreichen die emotionale Tiefe der Geschichte.
Yoichis Fotografien sind ebenfalls ein bedeutendes Element. Er dokumentiert die Welt um sich herum mit einer fast obsessiven Hingabe, als wolle er Momente einfangen, bevor sie für immer verschwinden. Doch die Bilder, die er von Kei macht, sind oft unscharf oder verzerrt, als ob Kei selbst eine flüchtige Illusion wäre, die jederzeit verschwinden könnte.
Von Carlsen Manga wird der Titel im handelüblichen Taschenbuchformat des Verlags veröffentlicht. Als Extra gibt es Farbseiten.
Fazit
“Sleeping on Paper Boats” ist kein leichter Manga. Er ist komplex, schwer verdaulich und stellt existenzielle Fragen. Er beschäftigt sich mit Suizid, künstlerischer Obsession und der dunklen Seite der Liebe. Es ist kein Werk, welches dich nach dem Lesen glücklich macht. Wer literarische und tiefgehende Geschichten schätzt, wird hier aber sicherlich fündig werden.
Und eines ist sicher: Nach der letzten Seite wird man das Gefühl haben, eine intensive Reise durch die dunkelsten Ecken der menschlichen Seele gemacht zu haben.

Bei diesem Manga handelt es sich um ein Rezensionsexemplar, welches mir freundlicherweise von Carlsen zur Verfügung gestellt worden ist. Vielen Dank dafür!